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Vereinfacht gesagt kann man unter Persönlichkeit relativ stabile Muster charakteristischer Verhaltens- und Erlebensweisen verstehen, die über Zeit und Situation fortdauern. Die Verhaltensweisen äußern sich insbesondere darin, wie jemand mit anderen Menschen umgeht (Interaktionsmuster) und basieren auf bestimmte Grundannahmen und Einstellung über sich selbst, andere Menschen und die Welt im Allgemeinen. Diese Grundannahmen und Einstellungen bestimmen auch, wie jemand sich selbst und seine Umwelt erlebt. Was ist nun unter einer Persönlichkeitsstörung (Kriterien nach ICD-10) zu verstehen? 

 

persoenlichkeitsstoerungen
 
 
 
 
  1. Bei Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung weichen die charakteristischen und dauerhaften inneren Erfahrungs- und Verhaltensmuster der Betroffenen insgesamt deutlich von kulturell erwarteten und akzeptierten Vorgaben ("Normen") ab. Diese Abweichung äußert sich in mehr als einem der folgenden Bereiche:
    • Kognition (d.h. Wahrnehmung und Interpretation von Dingen, Menschen und  Ereignissen; Einstellungen und Vorstellungen von sich und anderen);
    • Affektivität (Variationsbreite, Intensität und Angemessenheit der emotionalen Ansprechbarkeit und Reaktion);
    • Impulskontrolle und Bedürfnisbefriedigung;
    • zwischenmenschliche Beziehungen und Art des Umganges mit anderen.
  2. Die Abweichung ist so ausgeprägt, dass das daraus resultierende Verhalten in vielen persönlichen und sozialen Situationen unflexibel, unangepasst oder auch auf andere Weise unzweckmäßig ist (nicht begrenzt auf einen speziellen auslösenden Reiz oder eine bestimmte Situation).
  3. Persönlicher Leidensdruck, nachteiliger Einfluss auf die soziale Umwelt oder beides, deutlich dem oben beschriebenen Verhalten zuzuschreiben.
  4. Nachweis, dass die Abweichung stabil, von langer Dauer ist und im späten Kindesalter oder der Adoleszenz begonnen hat.
  5. Die Abweichung kann nicht durch das Vorliegen oder die Folge einer anderen psychischen Störung des Erwachsenenalters erklärt werden. Eine solche Störung kann aber neben der Persönlichkeitsstörung existieren oder sie überlagern.
  6. Eine organische Erkrankung, Verletzung oder deutliche Funktionsstörung des Gehirns müssen als mögliche Ursache für die Abweichung ausgeschlossen werden.

Die kategoriale Einteilung in „normale Persönlichkeit“ und „Persönlichkeitsstörung“ ist eine künstlich geschaffene Zweiteilung. Zutreffender und damit angemessener ist eine dimensionale Beschreibung der Persönlichkeit, in der „normale Persönlichkeit“ und „Persönlichkeitsstörung“ die beiden extremen Pole der Dimension „Persönlichkeit“ abbilden und zwischen denen es fließende Übergänge gibt. Wenn ich nachfolgend also bestimmte Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich ihrer Hauptmerkmale, Grundannahmen und Verhaltensstrategien (nach Beck) beschreibe, ist es hilfreich, sich dieser Problematik bewusst zu sein. Ergänzen möchte ich die Kurzdarstellung der verschiedenen Persönlichkeitsstörungen um den von Fiedler eingeführten Begriff des Persönlichkeitsstils, der hilft, die Besonderheiten einer Persönlichkeit zu beschreiben, ohne dass es sich um eine Persönlichkeitsstörung handelt. Bei der Benennung der jeweiligen Persönlichkeitsstörung werde ich die Einteilungen und Begriffe des DSM-IV (Klassifikationssystem für Psychische Störungen von der American Psychiatric Association) verwenden, da diese in der psychologischen Forschung gebräuchlicher sind. Persönlichkeitsstörungen lassen sich in verschiedene Gruppen einteilen:

Cluster A: sonderbar, exzentrisch

  • paranoide Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: fanatisch, querulatorisch, rechthaberisch
    Stil: rechtsbewusst, scharfsinnig, wachsam
    Grundannahme: Menschen sind potenzielle Gegner.
    Strategien: Vorsicht, Wachsamkeit, Misstrauen, Argwohn
    Häufigkeit: 0,5-2,5% der Erwachsenen, Männer häufiger als Frauen

  • schizoide Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: gleichgültig gegenüber sozialen Beziehungen, isoliert
    Stil: zurückhaltend, selbstbewusst, einzelgängerisch
    Grundannahme: Ich brauche viel Raum.
    Strategien: Autonomie, Rückzug
    Häufigkeit: unter 1%

  • schizotypische Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: exzentrisch, Verzerrungen in Wahrnehmung und Denken
    Stil: ahnungsvoll, sensibel
    Grundannahme: Ich erkenne die Dinge hinter den Dingen.
    Strategien: magisches Denken, Aberglaube
    Häufigkeit:  3%, Männer etwas häufiger als Frauen

Cluster B: dramatisch, emotional, launisch

  • Borderline-Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: impulsiv, instabil hinsichtlich Stimmung, Beziehung und Selbstbild
    Stil: spontan, sprunghaft
    Grundannahme: Andere sind entweder gut oder böse.
    Strategien: Idealisierung und Entwertung, wechselnde intensive Beziehungen
    Häufigkeit: 2 %, davon 75% Frauen
     
  • histrionische Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: dramatisierend, emotionalisierend, oberflächlich, egozentrisch
    Stil: expressiv, emotional, selbstdarstellend
    Grundannahme: Ich muss imponieren.
    Strategien: theatralisches Verhalten, impressionistisches Denken
    Häufigkeit: 2-3 %, Frauen gleich häufig oder häufiger als Männer

  • narzisstische Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: Bewunderung verlangend, manipulativ, kritikunfähig
    Stil: von sich selbst überzeugt, ehrgeizig, empfindsam
    Grundannahme: Ich bin etwas Besonderes.
    Strategien: Selbstverherrlichung, Konkurrenzverhalten, Machtstreben
    Häufigkeit: unter 1%, davon 75% Männer

  • antisoziale Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: verantwortungslos, kein Mitgefühl oder Reueempfinden, kriminell
    Stil: abenteuerlich, risikofreudig
    Grundannahme: Andere sind dazu da, um ausgenutzt zu werden
    Strategien: Angriff, Kampflust, ausbeuterisches Verhalten
    Häufigkeit: 3%, davon 75% Männer

Cluster C: ängstlich, furchtsam, vermeidend

  • selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: angstbetont, schüchtern, fehlende soziale Kompetenz
    Stil: selbstkritisch, zurückhaltend, vorsichtig
    Grundannahme: Ich könnte verletzt werden.
    Strategien: Vermeidung, Hemmung
    Häufigkeit: 0,5 - 1%, Männer gleich häufig oder häufiger als Frauen

  • dependente Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: unterwürfig, entscheidungsunfähig, abhängig, anklammernd
    Stil: loyal, anhänglich
    Grundannahme: Ich bin hilflos.
    Strategien: Hilfe suchendes Verhalten, Anhänglichkeit
    Häufigkeit: 1,5 – 6,7%, Frauen gleich häufig oder häufiger als Männer

  • zwanghafte Persönlichkeitsstörung
    Merkmale: rigide, perfektionistisch
    Stil: gewissenhaft, sorgfältig
    Grundannahme: Ich darf keine Fehler machen.
    Strategien: Perfektionismus, Kontrolle, Verantwortungsübernahme, Systematisierung
    Häufigkeit: 1 - 2 %, Männer doppelt so häufig wie Frauen

Beck gibt für die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung folgendes kognitive Erklärungsmodell: Es gibt bestimmte, aus unserer Stammesgeschichte entstandene „Programme“, die einst der natürlichen Anpassung dienten und von hohem Überlebenswert waren (z.B. Raub- oder Konkurrenzstrategien), ebenso wie es bestimmte von Geburt an bestehende Neigungen oder Temperamente gibt. Solche Muster verändern sich im Laufe des Lebens durch Lernerfahrungen, Erziehungseinflüsse usw., können gestärkt oder geschwächt oder neu aufgebaut werden. Durch sehr schnelle Veränderung der Umwelt- und Lebensbedingungen passen viele dieser „Programme“ jedoch nicht mehr in die gegenwärtige Lebensrealität. Wenn neue Erfahrungen überwiegend innerhalb der vorhandenen Muster (schemakonform) interpretiert werden, kommt es kaum zu Veränderungen dieser Muster im Sinne eines konstruktiven Lern- und Anpassungsprozesse. Persönlichkeitsstörungen sind also schlecht angepasste, unflexible Muster, die zu subjektivem Leiden oder zu psychosozialen Beeinträchtigungen führen.
In Anlehnung an das Modell von Beck entwickelte Fydrich das motivorientierte Indikations- und Interventionsmodell für die kognitive Verhaltenstherapie bei Persönlichkeitsstörungen (MIIM). Nach Fydrich bestimmen folgende handlungsleitende Schemata und Motive das zwischenmenschliche Verhalten: Selbstbild, Bild über andere Menschen und Kernmotive, die sich je nach Persönlichkeitsstörung deutlich von einander unterscheiden.

Wesentlich für die Therapie ist der Behandlungsauftrag des Patienten. Wenige Patienten begeben sich aufgrund ihrer Persönlichkeitsstörung in psychotherapeutische Behandlung, denn sie erleben das, was andere als Störung bezeichnen, als überwiegend ich-synton (zu sich selbst gehörig, angemessen, notwendig). Jemand mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung ist davon überzeugt, dass er auf keinen Fall einen Fehler machen darf und deswegen immer extrem genau arbeiten muss. Anlass für die Therapie sind in erster Linie die Auswirkungen der Persönlichkeitsstörung, wie z.B. Überlastungssymptome, Schwierigkeiten in sozialen Kontakten oder andere psychische Störungen, die gleichzeitig bestehen. Je ich-dystoner (fremder, störender) die Symptomatik ist, desto eher wird in der Therapie symptomorientiert gearbeitet. Dies ist häufig bei Patienten mit einer selbstunsicheren oder Borderline-Persönlichkeitsstörung der Fall. Je ich-syntoner die Symptomatik ist – so z.B. bei der paranoiden oder narzisstischen Persönlichkeitsstörung – desto weniger ist der Patient bereit, direkt daran zu arbeiten. Der Behandlungsfokus ist dann eher interaktionsorientiert. 50-60% der Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung leiden zusätzlich unter einer anderen psychischen Störung, wie z.B. Depression, Angststörung, Essstörung, Zwangsstörung oder Suchterkrankung, die ihn veranlassen, zum Therapeuten zu gehen. Häufig ist die Behandlung dieser anderen Störungen durch das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung erschwert. Aufgabe des Therapeuten ist es dann, den Patienten entsprechend aufzuklären und gemeinsam mit ihm ggf. den Behandlungsauftrag auf die Mitbehandlung der zugrunde liegenden Persönlichkeitsstörung auszudehnen.

 

Dieses Störungsbild liegt hier als PDF-Download vor.
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