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Somatoforme Störungen sind körperliche Beschwerden, die nicht oder nicht vollständig durch einen körperlichen Befund, eine Substanzeinwirkung oder durch eine andere Störung erklärt werden können. Im Gegensatz dazu werden psychosomatische Erkrankungen durch organische Faktoren verursacht und durch psychische Faktoren beeinflusst (z.B. Asthma Bronchiale, Neurodermitis, Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn). Der Verlauf von somatoformen Störungen ist in der Regel chronisch und die körperlichen Beschwerden sind mit erheblichem subjektiven Leiden oder Beeinträchtigungen im sozialen, beruflichen oder familiären Umfeld verbunden. Dies führt zu häufigen Arztbesuchen oder gar Krankenhausaufenthalten. Untersuchungen in Arztpraxen haben ergeben, dass ca. 20% aller dort geführten Patienten unter somatoformen Störungen leiden. Da hinter körperlichen Symptomen jedoch in erster Linie körperliche Ursachen vermutet werden, können Betroffene eine psychische Ursache nur schwer akzeptieren und kommen häufig erst nach jahrelangem Leidensweg in psychotherapeutische Behandlung. Möglicherweise ist hier ein pragmatischer Ansatz hilfreich: „Die Ärzte haben bisher trotz intensivem Suchen keine körperliche Erkrankung feststellen können. Vielleicht kann ich durch eine Psychotherapie erreichen, dass es mir besser geht." |
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Die wichtigsten somatoformen Störungen (nach ICD-10) sind Somatisierungsstörung, hypochondrische Störung, somatoforme autonome Funktionsstörung, und anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die ich im Folgenden kurz beschreiben möchte.
Somatisierungsstörung
Seit mind. 2 Jahren anhaltende, vielfältige und wechselnde Symptome (mind. sechs aus mind. zwei verschiedenen Organgruppen), für die keine ausreichende somatische Erklärung gefunden wurde. Diese Symptome verursachen ein andauerndes Leiden bzw. eine Beeinträchtigung sozialer Funktionen und führten zu mehrfachen Arztbesuchen. Die ärztliche Feststellung, dass keine ausreichende körperliche Ursache für die körperlichen Symptome besteht, wird von den Patienten nicht oder unzureichend akzeptiert. Bei weniger/weniger schweren Symptomen, geringerer Beeinträchtigung oder kürzerer Dauer der Symptomatik spricht man von einer undifferenzierten Somatisierungsstörung. Frauen sind ungefähr sieben Mal häufiger betroffen als Männer, der Störungsbeginn liegt überwiegend vor dem 30. Lebensjahr.
Hypochondrische Störung
Über mind. sechs Monate anhaltende Angst oder Überzeugung, an einer bestimmten körperlichen Krankheit zu leiden oder anhaltende Beschäftigung mit einer angenommenen Entstellung oder Missbildung (dysmorphophobe Störung). Die Angst beruht auf der Fehlbewertung von normalen allgemeinen Empfindungen und Erscheinungen. Das Ausmaß der hierdurch erlebten subjektiven Beeinträchtigung ist unterschiedlich. Die ärztliche Feststellung, dass keine ausreichende körperliche Ursache für die körperlichen Symptome besteht, wird von den Patienten nicht akzeptiert. Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen, die Störung beginnt selten nach dem 50. Lebensjahr.
Somatoforme autonome Funktionsstörung
Vorliegen von mind. einem Symptom autonomer vegetativer Erregung, das ein bestimmtes Organ oder Organsystem betrifft:
- kardiovasuklär (→Herz, z.B. Druckgefühl, Brustschmerz )
- gastrointestinal (→Magen, Darm, z.B. Völlegefühl, häufiger Stuhldrang)
- respiratorisch (→Atmung, z.B. Atemnot, Hyperventilation) oder
- urogenital (→Harnorgane, Geschlechtsorgane, z.B. Blasenentleerungsstörung)
Zusätzlich müssen mindestens zwei weitere vegetative Symptome auftreten, z.B. Schweißausbrüche, Mundtrockenheit, ungewöhnliche Herzreaktionen oder Kribbeln / Unruhe im Bauch.
Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
Mind. über sechs Monate bestehender, an den meisten Tagen andauernder, schwerer und quälender Schmerz, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden kann und der im Zusammenhang mit schwerwiegenden emotionalen Konflikten oder psychosozialen Problemen auftritt. Die Aufmerksamkeit des Patienten ist schwerpunktmäßig auf das Schmerzerleben gerichtet; er erhält an beträchtliches Maß an medizinischer Betreuung oder privater Zuwendung.
Risikofaktoren für die Entwicklung einer somatoformen Störung sind:
- starke Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen im Umfeld
- kulturell bedingte somatische Ausrichtung der Medizin oder eine soziokulturelle Prägung, in der es zu einer Häufung somatoformer Erkrankungen kommt (z.B. Spanien, Italien, Lateinamerika)
- genetische Faktoren
- chronisch kranke Angehörige, die Modelle für Krankheitsverhalten sind
- mit Vorteilen verbundene Krankenrolle, z.B. ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit und Zuwendung durch Angehörige und Ärzte oder die Möglichkeit, sich aus ungeliebten Verpflichtungen zurückzuziehen
- geringeres Bildungsniveau, niedriger sozialer Status
- Alexithymie (Schwierigkeit, Gefühle bei sich wahrzunehmen, verschiedene Gefühlsqualitäten zu unterscheiden und diese schließlich sprachlich auszudrücken)
- interozeptiver Wahrnehmungsstil (besondere Wahrnehmung innerer körperlicher Vorgänge), Aufmerksamkeitslenkung auf gesundheitlich bedrohliche Reize, Neigung zur Wahrnehmung autonomer Missempfindungen oder Fehlbewertungen normaler körperlicher Phänomene, geringe Fähigkeit zur physiologischen Habituation (Gewöhnung)
- veränderte Körperwahrnehmung aufgrund früherer schwerer Erkrankung
- schwerwiegende Belastungen/Traumata
Aufrechterhaltendes Störungsmodell für somatoforme Störungen (Rief & Hiller)
Nach diesem Modell werden somatoforme Störungen durch zwei Teufelskreise aufrechterhalten:
- Bestimmte Auslöser (z.B. Aufmerksamkeitszuwendung oder physiologische Aktivierung) führen zu körperlichen Veränderungen/Reaktionen. Werden diese wahrgenommen und fehlbewertet (z.B. als bedrohliche Krankheitszeichen, als unerträglich bzw. untolerierbar), kommt es durch weitere Aufmerksamkeitslenkung auf die Symptomatik und steigende physiologische Erregung zu einer Symptomverstärkung mit noch deutlicheren körperlichen Missempfindungen.
- Auch hier werden zunächst körperliche Veränderungen wahrgenommen, und als bedrohlich oder untolerierbar fehlbewertet. Zur Aufrechterhaltung der Störung führt das besondere Krankheitsverhalten des Betroffenen, z.B. ständiges Kontrollieren des Körpers, übermäßige Beschäftigung mit Krankheit und Gesundheit, Arztbesuche und medizinische Untersuchungen und Medikamenteneinnahme. Kurzfristig führen diese Verhaltensweisen zu einer Entlastung, langfristig lenken sie jedoch weiterhin die Aufmerksamkeit auf körperliche Symptome.
Die Therapie der somatoformen Störungen setzt in erster Linie an den aufrechterhaltenen Bedingungen an. Daraus lassen sich folgende Therapieziele ableiten:
- Abbau eines rein körpermedizinischen und Aufbau eines psychosomatischen Krankheitsverständnisses
- Veränderung der Fehlbewertung körperlicher Symptome
- Abbau von Krankheits- und Vermeidungsverhalten
- Aufbau von Fertigkeiten (z.B. Stressbewältigung, Problemlösefertigkeiten, Wahrnehmung und Ausdruck von Gefühlen, Genusstraining)
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