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Der Begriff Sucht bzw. Abhängigkeit im engeren Sinne wird in Zusammenhang mit Substanzen verwendet, die direkt auf das zentrale Nervensystem wirken und Bewusstsein und Wahrnehmung verändern (psychotrope Substanzen). Eine weitere Definition von Sucht bezieht auch „süchtige Verhaltensweisen“ mit ein, wie z.B. Arbeitssucht, Kaufsucht oder Sexsucht, doch hierauf soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Der Übergang zwischen Rausch- und Genussmitteln ist fließend. Im ICD-10 werden folgende Substanzen bzw. Substanzgruppen unterschieden:

  • Alkohol
  • Opioide (z.B. Heroin, Morphium)
  • Cannabinoide (Wirkstoff THC, in Teilen der Cannabispflanze bzw. in daraus gewonnen Produkten enthalten)
  • Sedativa oder Hypnotika (Beruhigungs- oder Schlafmittel)
  • Kokain
  • sonstige Stimulanzien (Amphetamine, Ecstasy, Koffein)
  • Tabak
  • flüchtige Lösungsmittel (z.B. „Schnüffeln“ von lösungsmittelhaltigen Klebstoffen)
  • sonstige psychotrope Substanzen (z.B. Pilze, deren Verzehr einen Rauschzustand hervorruft)

 

sucht

 
 
 
 

Warum werden diese Substanzen konsumiert? Hier die häufigsten Motive:

  • Verminderung oder Beendigung eines unangenehmen Zustandes (z.B. in Zusammenhang mit Ängste, Depressionen, Schlafstörungen oder Zwängen)
  • Herstellung oder Verbesserung eines angenehmen Zustandes
  • Anpassung an gesellschaftliche Gepflogenheiten oder die Konsummuster des persönlichen Umfeldes (z.B. „auf den Geburtstag anstoßen“ oder „eine mitrauchen“)

Aus diesen Motiven heraus können Gewohnheiten entstehen, die über lange Jahre aufrechterhalten werden. Sowohl die Psyche als auch der Körper stellen sich auf die Zufuhr dieser Substanzen ein, so dass ein Verzicht zu Absetzerscheinungen führt, die von leichtem Unwohlsein oder Unruhe bis hin zu lebensbedrohlichen Entzugssymptomen reichen können. Deswegen sollten Entgiftungen unbedingt unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt werden.

Die wichtigsten begrifflichen Unterscheidungen hinsichtlich des Konsums psychotroper Substanzen sind zwischen schädlichem Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit zu treffen. Auch hier gibt es Überschneidungen und fließende Übergänge, was es den Betroffenen schwer macht zu entscheiden, ab wann es sinnvoll und notwendig wäre, das eigene Konsummuster zu verändern. Die meisten stellen sich daher diese Frage häufig erst dann, wenn der Grad der Gewöhnung bereits recht hoch und eine Veränderung mit vielen Anstrengungen verbunden ist.

Unter schädlichem Gebrauch wird ein Verhalten verstanden, bei dem Substanzmengen konsumiert werden, die auf Dauer gesehen den Organismus schädigen. Beispielsweise spricht die Weltgesundheitsorganisation in Bezug auf Alkohol von schädlichem Gebrauch bei Überschreiten einer Tagesmenge von 20 g reinem Alkohol bei Frauen (entspricht ungefähr einer Flasche Bier) bzw. 40g bei Männern. Diese Werte sind Durchschnittswerte und daher individuell verschieden. Bei jemandem mit körperlichen Vorschädigungen können sich auch geringere Mengen negativ auswirken und Menschen mit einer günstigen genetischen Ausstattung können auch etwas größeren Mengen ohne körperliche Folgeschäden „verkraften“.

Mit Substanzmissbrauch ist im Allgemeinen eine Konsum gemeint, der gegenüber den jeweiligen soziokulturellen Normen überhöht ist bzw. zu unpassender Gelegenheit durchgeführt wird, wenn akute körperliche, seelische oder soziale Folgestörungen vorliegen oder wenn psychoaktiv wirksame Medikamente höher dosiert bzw. häufiger als ärztlich verordnet eingenommen werden.

Kennzeichen für eine körperliche Abhängigkeit ist eine erhöhte Toleranz (es sind zunehmend höhere Dosen erforderlich, um die ursprünglich durch niedrigere Dosen erreichte Wirkung hervorzurufen) oder ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung bzw. Reduktion des Konsums. Merkmale der psychischen Abhängigkeit sind (1) ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Supstanzen zu konsumieren, (2) die Fortsetzung des Konsums trotz körperlicher und/oder (3) psychosozialer Folgeschäden, (4) Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums und/oder (5) verminderter Kontrollfähigkeit über Zeitpunkt, Dauer und Menge des Konsums. Nach ICD-10 liegt eine Substanzabhängigkeit vor, wenn drei oder mehr der genannten Kriterien zutreffen.

Da Alkohol zu den häufigsten Suchtmitteln gehört und übermäßiger Konsum sowohl zu massiven körperlichen als auch psychosozialen Folgeschäden führt,  soll hierauf im Folgenden näher eingegangen werden. In Deutschland betreiben ca. 2,7 Mio. Menschen einen missbräuchlichen Alkoholkonsum und ca. 1,6 Mio. sind alkoholabhängig. Ungefähr ¾ der Betroffenen sind Männer und ¼ Frauen.

Mögliche Folgeerkrankungen des Alkoholismus betreffen:

  • Gehirn und Nervensystem: Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Abnahme der Kritik- und Urteilsfähigkeit und der Intelligenz, Zittern der Hände (Tremor), Neuropathien
  • Leber: Leberschwellung, Leberverfettung, Leberzirrhose
  • Mund- u. Rachenraum: Krampfadern der Speiseröhre (Varizen), div. Krebsarten
  • Herz-Kreislauf-System: Bluthochdruck, Herzmuskelschäden, Herzversagen, kapillare Hämorrhagien („Säufernase“)
  • Muskulatur: Muskelathrophie (-abbau)
  • Magen-Darm-Trakt:  chronische Magenschleimhautentzündung, Magengeschwür, Magenkrebs, Darmkrebs
  • Bauchspeicheldrüse: Bauchspeicheldrüsenentzündung , -krebs, Diabetes
  • Fortpflanzung: Impotenz; bei Schwangerschaft Alkohlembryopathie
  • Immunsystem: Effizienz vermindert sich  erhöhte Infektanfälligkeit
  • psychische- und Persönlichkeitsveränderungen: Labilität/extreme Stimmungsschwankungen, Misstrauen/Eifersucht (bis hin zu alkoholbedingtem Eifersuchtswahn), Reizbarkeit, Depressivität),
  • soziale Folgen: familiäre Konflikte, Schulden/Beschaffungskriminalität, Verlust des Arbeitsplatzes, des Führerscheins, Straftaten, Obdachlosigkeit,  Ausgrenzung, sozialer Abstieg

Jellinek beschrieb bereits 1952 vier Phasen auf dem Weg zur Sucht:

  1. Voralkoholische Phase: sozial motiviertes Trinken, gelegentliches Erleichterungstrinken
  2. Prodromalphase: erste alkoholbedingte Erinnerungslücken (Blackout, „Filmriss“), beginnendes heimliches Trinken, Schuldgefühlen, erste Isolierungstendenzen. Da der Betroffene in dieser Phase noch kontrolliert trinken können und aufgrund erhöhter Alkoholtoleranz ohne Berauschung viel zu trinken vermögen, werden sie häufig als Mitmenschen „mit großem Stehvermögen“ geschätzt.
  3. kritische Phase: Die Kontrolle über das Trinken geht verloren und es wird auch tagsüber getrunken. Dadurch wird die Abhängigkeit oft erstmalig für das Umfeld deutlich und dem Kranken begegnet zunehmend Ablehnung. Unter Umständen vermögen selbst kleinste Alkoholmengen einen unwiderstehlichen Drang nach weiterem Alkoholkonsum auszulösen. Es kommt zu mehrtägigen Trinkexzessen. Dazwischen liegen Tage, Wochen oder gar Monate der Abstinenz. Versuchen die Betroffenen mit dem Trinken aufzuhören, kommt es zunehmend zu Entzugserscheinungen. Äußere Interessen gehen verloren, zwischenmenschliche Konflikte häufen sich, die Fähigkeit zur sozialen Anpassung wird vermindert. Das Verhalten konzentriert sich immer mehr auf Alkohol.
  4. chronische Phase: regelmäßiges morgendliches Trinken, gehäuft auftretenden Kontrollverluste führen oft zu tagelangen Trinktouren. Der Alkoholiker trinkt quasi ohne Unterbrechung – Trinken wird zum Lebensinhalt. Der seelische, körperliche und sozialen Abbau schreiten fort. Er vernachlässigt Körperhygiene, Familie, Freunde und Beruf werden gleichgültig, er verliert jegliches Schamgefühl. Sein Körper hat sich so an Alkohol gewöhnt, dass er ohne massive Entzugserscheinungen nicht darauf verzichten kann. Stehen keine alkoholischen Getränke zur Verfügung, greift der Kranke auch zu Ersatzstoffen (z.B. Rasierwasser, Spiritus). Es finden sich zunehmend Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen sowie andere Folgeerkrankungen. Bei entsprechender Leberschädigung können bereits geringe Alkoholmengen zu schweren Räuschen führen. Häufig kommt es zu Folgeschäden mit bleibender Invalidität oder tödlichem Ausgang.

Der Krankheitsverlauf variiert individuell. Beispielsweise gibt es  zahlreiche Alkoholabhängige, die niemals einen Blackout hatten, nie auf Trinktour waren (insbes. Frauen) oder beständig nur an den Wochenenden exzessiv trinken. Ferner scheinen die Überzeugungen der Betroffenen dabei eine Rolle zu spielen, ob sie nach dem „ersten Glas“ den „unwiderstehlichen Drang verspüren, weiterzutrinken“ oder nicht: wussten sie z.B. nicht, dass sie Alkohol zu sich nahmen, tranken sie nicht mehr von diesem Getränk als sogenannte „gesunde Geselligkeitstrinker“. Studien zeigen, dass manche nach Phasen exzessiven Trinkens längere Phasen leichteren Trinkens durchlebten und sich augenscheinlich von „Normaltrinkern“ nicht unterschieden. Eine Reihe von Alkoholikern konsumiert auch andere Suchtmittel. Der Verlauf variiert auch mit dem Alter des Trinkbeginns (je jünger desto schwerwiegender der Verlauf) und der Komorbidität mit anderen psychischen Störungen.

Wesentliche Behandlungsbausteine von Abhängigkeitserkrankungen sind:

  1. Stationäre Entgiftung: findet im Allgemeinkrankenhaus i.d.R. in einer internistischen oder psychiatrischen Abteilung statt oder auch in einer psychiatrischen Klinik. Zur Milderung der bei „kaltem Entzug“ lebensbedrohlichen Entzugserscheinungen werden entsprechende Medikamente verabreicht. Ggf. wird auch eine weitere Behandlung eingeleitet.
  2. Ambulante Entgiftung: Entgiftungen finden unter engmaschiger ärztlicher Kontrolle teilweise auch ambulant statt, wobei dafür nur entsprechend motivierte Patienten infrage kommen, bei denen nicht mit einem ausgeprägten Entzugssyndrom zu rechnen ist.
  3. Ambulante Therapie: Voraussetzung für die Behandlung ist eine bereits Erfolgte Entgiftung, die Befähigung des Patienten, die Abstinenz über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten und ambulante Termine regelmäßig und ohne unter Substanzwirkung zu stehen einhalten zu können.
  4. Stationäre Entwöhnungsbehandlung: Als Kurzzeittherapie (6-8 Wochen, evtl. auch im Sinne einer „Auffrischungstherapie“ nach Rückfälligkeit) oder Langzeittherapie (3-4 Monate, in Einzelfällen 6 Monate). Die Therapie findet überwiegend in Gruppen, häufig um Einzelgespräche ergänzt, statt, wobei verschiedenste therapeutische Verfahren zur Anwendung kommen. Kostenträger sind Rentenversicherungen, Krankenkassen, Sozialämter etc.
  5. Selbsthilfegruppen: Die Gruppen haben überwiegend die Abstinenz ihrer Gruppenbesucher zum Ziel. Sie setzen sich aus Betroffenen und teilweise  auch Angehörigen zusammen, bieten Erfahrungs- und Informationsaustausch unter „Gleichgesinnten“, Verständnis, emotionale Unterstützung, Rat und konkrete Hilfestellung sowie alkoholfreie Geselligkeit. Am bekanntesten sind die AA-Gruppen (Anonyme Alkoholiker, gegründet 1935 in den USA, weltweit größte Selbsthilfevereinigung mit über 1 Mio. Mitgliedern in über 90 Ländern).

Auch nach längerer Abstinenz kann ein Bedürfnis oder Verlangen nach Substanzkonsum („Suchtdruck“) wieder auftreten. Nach Wetterling sind die wichtigsten Variablen hierfür:

  • positive Erwartungen an die Wirkung der Substanz,
  • das momentane Befinden („Suchtdruck“ tritt häufig bei gedrückter Stimmungslage oder Angst auf),
  • die Umgebungsbedingungen (wurde z.B. in dieser Situation/Umgebung früher das Suchtmittel konsumiert) und
  • das Repertoire an zur Verfügung stehenden alternativen Verhaltensweisen.

Biochemische Erklärungsmodelle basieren a) auf eine Unterstimulation des Belohnungssystems im Gehirn (Defizittheorie) oder b) auf eine verminderte Erregbarkeit bestimmter Neuronenverbände (Subsensitivitätstheorie). Beide Ansätze gehen davon aus, dass das Belohnungssystem durch Zufuhr von Alkohol oder anderen psychotropen Substanzen in Richtung „Normalzustand“ aktiviert werden kann.

Veltrup spricht von einem Rückfall im Sinne einer „weiten“ Rezidivdefinition, wenn

  • einem Abhängigen in entsprechender Behandlung die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung von Abstinenz auf für ihn nachvollziehbare Weise vermittelt worden ist,
  • der Abhängige daraufhin willentlich Abstinenz angestrebt und eingehalten hat,
  • er die früher bevorzugte psychotrope Substanz - unabhängig von der Menge und von der Verabreichungsform - zu sich nimmt
  • und er den Abstinenzvorsatz generell nicht aufgegeben und den Substanzkonsum wahrgenommen hat.

Während der ersten Monate nach Behandlungsende ist das Risiko für einen Erstrückfall am größten. Wichtig ist neben der frühestmöglichen Beendigung des Konsums eine zeitnahe Bearbeitung und ein konstruktives Aufgreifen des Rückfallgeschehens:

  • Was genau ist passiert?
  • Was waren Auslöser?
  • Gab es im Vorfeld schon erste Anzeichen?
  • An welchen Stellen wäre eine Möglichkeit gewesen, anders zu handeln?
  • Was wären mögliche Verhaltensalternativen gewesen?
  • Was ist noch notwendig, um in Zukunft auf diese Alternativen zurückgreifen zu können?

Die Rückfallbearbeitung kann im Rahmen einer ambulanten Therapie oder in Selbsthilfegruppen stattfinden, möglicherweise ist auch eine erneute Entgiftung und/oder Einleitung bzw. Auffrischung einer stationären Entwöhnungsbehandlung notwendig.

 

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