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Ein traumatisches Ereignis ist ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würde. Der Betroffene wird durch das plötzliche Auftreten, die Heftigkeit und Intensität lang anhaltend oder permanent ansteigend in Schreck-, Schock- und Stresszustand versetzt. Dies führt zu einer Überflutung mit bedrohlichen, intensiven unangenehmen Reizen, denen sich der Betroffene weder durch Kampf noch durch Flucht entziehen kann. Ein solches Ereignis führt meist zu einer akuten Belastungsreaktion, deren Symptome sich innerhalb kurzer Zeit (einige Stunden bis Tage) zurückbilden können.

 

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Andere Betroffene werden als Folge des Ereignisses z.B. depressiv, entwickeln eine Angststörung, eine somatoforme Störung oder eine Suchterkrankung. In seltenen Fällen, insbesondere bei Traumatisierung in früher Kindheit, kann es zur Entwicklung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und bei wiederholter oder länger dauernder Traumatisierung zu einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung kommen. Bei ca. 25% der Betroffenen kommt es zur Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), auf die ich hier näher eingehen möchte.

Der posttraumatischen Belastungsstörung geht immer ein traumatisches Ereignis wie oben beschrieben voraus. Kernsymptom (nach ICD-10) sind wiederholte, unausweichliche Erinnerungen oder Wiederinszenierung des Ereignisses in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen. Diese Wiedererinnerungen haben „Hier-und-Jetzt-Qualität“, also Gegenwartscharakter hinsichtlich Art und Intensität des Erlebens, obwohl der Auslöser in der Vergangenheit liegt. Sie können sich auf das traumatische Ereignis insgesamt beziehen, aber auch auf bruchstückhafte Szenen, einzelne Gefühle oder Körperempfindungen. Hervorgerufen werden sie durch bestimmte Reize (Trigger), die eine Ähnlichkeit zu Reizen aufweisen, die während der traumatischen Situation vorhanden waren, wie z.B. bestimmte Gerüche, Geräusche, Worte, Gegenstände, Personen- oder Situationsmerkmale oder auch die Wahrnehmung von körperlicher Erregung oder Gefühlen wie Angst oder Hilflosigkeit, die aus anderen alltäglichen Situationen herrührt. Weitere typische Symptome der PTBS sind:
  • andauerndes Betäubtsein oder emotionale Stumpfheit
  • Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Ähnlichkeiten mit der Traumasituation aufweisen
  • vegetative Übererregtheit (Vigilanzsteigerung, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen)
  • Angst, Depression, Substanzmissbrauch
  • seltener auch Angst-, Panik- oder Aggressionsausbrüche

Die Mehrheit der Bevölkerung hat mind. ein traumatisches Erlebnis im Leben, 10-12% der Frauen und 5-6% der Männer entwickeln im Laufe ihres Lebens eine PTBS. Gewalttaten, insbesondere sexuelle Gewalt und Kriegseinsätze („man-made“), führen mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Ausbildung einer PTBS als Unfälle und Naturkatastrophen. Die Symptome treten meist unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis auf und bessern sich bei der Hälfte der Betroffenen ohne Behandlung im 1. Jahr, bei einem Dritte verläuft die Störung chronisch. Das Chronifizierungsrisiko ist umso höher, je schwerer die anfängliche Symptomatik ausgeprägt war und je länger die traumatische Situation angedauert hat. Darüber hinaus begünstigen folgende Risikofaktoren die Entwicklung einer PTBS:

  • psychiatrische Vorbelastung des Betroffenen
  • psychiatrische Erkrankungen in der Familie
  • Missbrauch oder körperliche Misshandlung in der Kindheit
  • anderes frühes Trauma, schlechte Entwicklungsbedingungen in der Kindheit
  • niedriger sozialer Status, geringere Bildung oder Intelligenz
  • Fehlen sozialer Unterstützung nach dem Trauma
  • hohe Stressbelastung nach dem Trauma
  • neurobiologische Besonderheiten (anlagebedingt verkleinerter Hippocampus – diese Hirnregion ist für die Verarbeitung von Erinnerungen zuständig)

Was geschieht im Gehirn, wenn jemand einem traumatischen Ereignis ausgesetzt ist? Neuropsychologen sprechen von einer PTBS als einer funktionellen Störung des Gehirns. Während eines traumatischen Ereignisses prägen sich Sinneswahrnehmungen wie Geräusche, Gerüche, Bilder und Körpersensationen intensiv in das Gedächtnis ein. Die hierfür wesentlichen Hirnstrukturen sind Amygdala und Hippocampus. Zunächst werden die von den Sinnesorganen eintreffenden Reize im Thalamus verarbeitet. Über eine schnelle Verbindung gelangen grobe Informationen direkt zur Amygdala. Dort werden die eintreffenden Informationen bewertet und normalerweise zur Weiterverarbeitung an andere Hirnstrukturen geleitet und mit Hilfe des Hippocampus im expliziten deklarativen Gedächtnis (Geschehnisse liegen dort in Form einer „erzählbaren Geschichte“ vor, „cold memory“) gespeichert, wo sie der bewussten Erinnerung zugänglich sind.

Im Falle einer existenziellen Bedrohung löst die Amygdala unter Umgehung höherer Hirnstrukturen eine unmittelbare körperliche Reaktion aus: Es kommt zu einer Überflutung mit Botenstoffen wie Adrenalin und Endorphinen sowie zur Erhöhung von Blutdruck, Herzschlag und Muskelspannung mit dem Ziel, eine schnelle Gefahrenabwendung durch Kampf- oder Fluchtverhalten zu ermöglichen (sympathikogene Reaktion). Dauert die Alarmreaktion an und sind weder Kampf noch Flucht möglich, oder sind zu wenige oder widersprüchliche Informationen da, um eine Entscheidung treffen zu können, „kippt“ die Physiologie und löst einen weitern Überlebensmechanismus aus: Herzschlag und Blutdruck sinken unter das normale Niveau ab, die Muskulatur erschlafft (parasympathikogene Reaktion). Körpereigene Opiate machen schmerzunempfindlich und betäuben, Cortisol wirkt handlungshemmend, es kommt zu Stimmbandlähmung, Schreckstarre („Freeze“) und Ergebenheitsreaktion. Die Traumaerfahrung wird häufig in einzelne Fragmente wie Geräusche, Gerüche oder einzelne Bilder aufgespaltet (peritraumatische Dissoziation). Die Fragmente des Traumas sind mit intensiven Gefühlen und physiologischen Reaktionen verbunden. Da die Verbindung der Amygdala zum Hippocampus in derartigen Hochstress-Situationen gestört ist bzw. zugunsten lebensrettender Mechanismen umgangen wird, werden die Erinnerungsfragmente quasi in „Rohform“ im impliziten prozeduralen Gedächtnis gespeichert (Amygdala und zugehörige Systeme). Dies hat zum einen zur Folge, dass der sprachliche Ausdruck in Form einer zusammenhängenden „Geschichte“ als Teil der biografischen Erinnerungen gestört bzw. nicht möglich ist, zum zweiten kommt es mittels spezifischer Schlüsselreize zu ungewollten, intrusiven Wiedererinnerungen mit „Hier-und-Jetzt-Qualität“ („hot memory“).

Wie kommt es nun, dass eine PTBS chronifiziert? Warum erlebt ein Teil der Betroffenen noch nach Jahren Angst, obwohl Angst sich im Allgemeinen auf eine gegenwärtige oder zukünftige Bedrohung bezieht, das Traumaereignis jedoch Teil der Vergangenheit ist. Ehlers & Clark erklären dies mit folgendem Störungsmodell:

Die Wahrnehmung einer gegenwärtigen Bedrohung wird durch die Charakteristika des Trauma-Gedächtnisses und die Interpretation des Traumas und seiner Konsequenzen bestimmt. Wie oben beschrieben können bestimmte Schlüsselreize intrusives Wiedererleben, das von entsprechend starken Gefühlen und Körperreaktionen begleitet wird, auslösen. Die genaue Ausgestaltung des Trauma-Gedächtnisses ist individuell verschieden und abhängig von den Besonderheiten der traumatischen Situation und deren Konsequenzen für den Betroffenen, dessen frühere Erfahrungen, Überzeugungen und Bewältigungsstrategien sowie der Verarbeitung des Ereignisses in der Traumasituation. Auch die Interpretation des Traumas ist individuell verschieden und beeinflusst das Bedrohungserleben. Hier einige beispielhafte belastende Interpretationen:

  • Ich bin nirgends sicher.
  • Ich ziehe das Unglück an.
  • Ich muss mich schämen.
  • Ich kann niemandem mehr vertrauen.
  • Ich bin innerlich wie tot.
  • Ich werde verrückt.
  • Ich werde alles verlieren.
  • Ich werde nie mehr ein normales Leben führen können.

Aus dem Bedrohungserleben heraus greifen Betroffene zu Strategien, die zwar kurzfristig etwas Entlastung bringen, langfristig jedoch die PTBS-Symptomatik aufrechterhalten und eine Veränderung der negativen Interpretationen und des Trauma-Gedächtnisses verhindern. Beispiele dysfunktionaler Strategien sind:

  • Gedanken an das traumatische Ereignis unterdrücken
  • immer „auf der Hut“ sein
  • Situationen, die an das Traumageschehen erinnern könnten, vermeiden
  • sich zurückziehen, Kontakte zu Freunden abbrechen
  • früher bedeutsame Aktivitäten aufgeben, nichts Schönes mehr planen
  • Grübeln, wie das Traumaereignis hätte verhindert werden können
  • sich mit Alkohol oder Medikamenten betäuben

Aus diesem Modell lassen sich folgende Notwendigkeiten für die Therapie ableiten:

  1. Veränderung des Trauma-Gedächtnisses zur  Verringerung des intrusiven Wiedererlebens bzw. zur Verbesserung der Fähigkeit, dieses mit geringerer Belastung zu erleben
  2. Herausarbeiten und Verändern dysfunktionaler traumarelevanter Überzeugungen, Einstellungen und Annahmen
  3. Abbau der Vermeidung auf gedanklicher und Verhaltensebene

Dies geschieht mit folgenden Methoden:

  1. Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis unter geschützten therapeutischen Bedingungen durch imaginatives Nacherleben. In der Vorstellung wird das Ereignis von Beginn bis Ende nacherlebt bzw. rekonstruiert, damit daraus schließlich eine bewusst zugängliche, „erzählbare Geschichte“ wird , die in andere autobiographische Erinnerungen eingebettet ist. Um die Belastung in der Therapiesituation erträglich zu halten, erlernen die Patienten zuvor Methoden, mit denen sie das Geschehen aus der „Vogelperspektive“ betrachten oder auf einen „Bildschirm“ projizieren können und nach der Therapiestunde z.B. in einen „Tresor“ einschließen. Ggf. kommt bei der Traumabearbeitung auch EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) zum Einsatz, einer von Shapiro entwickelten Methode, bei der mit Hilfe bilateraler Stimulation (meist in Form von Augenbewegungen) der Verarbeitungsprozess im Gehirn unterstützt wird.

  2. Mit kognitiven Methoden werden die belastenden Interpretationen des Traumageschehens und seiner Konsequenzen bearbeitet, um Ängste, Schuld- und Schamgefühle zu reduzieren. In diesem Zusammenhang spielen auch Erklärungen zu den neurobiologischen Notfallmechanismen unseres Körpers und zu den Besonderheiten des Trauma-Gedächtnisses eine Rolle. Wer z.B. weiß, dass die Schreckstarre ein sinnvoller Überlebensmechanismus ist, wird sich nicht länger vorwerfen, sich zu wenig gewehrt zu haben, und wer weiß, warum es zu intrusivem Wiedererleben nach scheinbar belanglosen Auslösern  kommt, wird sich nicht länger für „verrückt“ halten.

  3. Dem Abbau der Vermeidung auf gedanklicher Ebene dient z.B. das imaginative Nacherleben des traumatischen Ereignisses. Auf Verhaltensebene ist dies das gezielte Aufsuchen und Einüben der gemiedenen Alltagssituationen, um eine korrigierende Lernerfahrung machen zu können. Vorbereitet werden diese Übungen z.B. durch bewusste Differenzierung zwischen „Hier & Jetzt“ und „Dort & Damals“ oder durch „Probehandeln“ in der Phantasie, ggf. unter Einbeziehung von EMDR.

Voraussetzungen für die Bearbeitung der traumatischen Erinnerungen sind sowohl eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung als auch eine hinreichende Alltagsstabilität des Patienten. Diese beiden Ziele stehen im Zentrum der Therapieeingangsphase, deren Dauer individuell sehr unterschiedlich ist (manchmal genügen einige Therapiestunden, manche Therapien dienen nahezu ausschließlich der Stabilisierung). Wichtig ist eine transparente Vorgehensweise, bei der jeder neue Therapieschritt abgestimmt wird, damit der Patient sich in der therapeutischen Situation sicher fühlen kann.
Nach der Traumabearbeitung stehen die Auseinandersetzung mit traumaspezifischen Verlusten und eine Neuorientierung im Sinne der Entwicklung von Zukunftsperspektiven und der Anknüpfung an frühere Aktivitäten und Kontakte im Mittelpunkt („Das Leben zurück erobern“).

Dieses Störungsbild liegt hier als PDF-Download vor.

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